Sterblichkeit

Dabei
27 Aug 2011
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#1
Hallo Leute,

ich möchte mir gerne etwas von der Seele schreiben, weil ich denke, dass das Reden darüber alleine nicht hilft.

Ich war heute Morgen bei meiner Hausärztin. Ich bin nicht krank - habe nur eine Erkältung. Ich hatte jedoch heute Morgen ein Stechen beim Einatmen und habe Sorgen gemacht, dass es etwas Ernstes sein könnte, da ich bereits vor zwei Wochen schon einmal krank war.

Nun, wo fange ich an. Am besten von vorn.

Auf dem Weg zu meiner Hausärztin fiel mir ein das ich meine KK-Karte Zuhause vergessen hatte und habe mich schon total geärgert und gehofft, dass man mich nicht wieder weg schicken würde. Naja. Ich wurde zurück geschickt und dachte mir als ich dann fluchend meine KK-Karte in meine Tasche steckte, dass das doch nicht wahr sein kann und das das Schicksal mich wohl verarschen will. Sonst war es kein Problem die Karte nachzuzeigen, schließlich bin ich nicht zum ersten Mal da gewesen.

Letztlich nahm ich - nach ca. 30 Minuten - erneut im Wartezimmer platz. Ungefähr 5 Minuten später kam ein Mann - um die 60 - in die Praxis der Ärztin. (Die Praxis ist recht klein und die Tür des Anmelderaums und des Wartezimmers - welche sich gegenüberliegen - standen beide offen.)

Ab da ist alles wie ein Film. Ich höre die Empfangsdame sagen: "Haben Sie einen Termin?" .... "Was fehlt Ihnen denn?"
Und der Mann antwortete etwas belustigt: "Na, dass weiß man noch nicht."

Keine Minute später krachte es. Ich dachte, dass eine Vase oder sowas umgefallen sei, aber ich wurde schnell aus meinem Gedanken gerissen, als plötzlich eine andere Frau - die ebenfalls im Wartezimmer saß - aufsprang und ins Anmeldezimmer lief...

Alle anderen guckten nur. Keiner sagte ein Wort.

Die Anmeldefrau rief nur: "Frau Doktor, Frau Doktor ... Kommen Sie schnell!"

Dann lief ich - keine Ahnung warum - in dieses Zimmer und da lag dieser Mann da in der Ecke, die zwei Frauen versuchten ihn aus dieser merkwürdigen Haltung zu ziehen und legten ihn in die stabile Seitenlage. Dann kam die Ärztin und kniete neben ihm nieder. "Er hat keinen Puls!"

Die Wartezimmer-Frau sagte: "Wir müssen ihn wieder beleben." Noch während sie das sagte, wischte sie mit ihrem Ärmel den Sabber vom Mund des Mannes. Die Ärztin rief der Empfangsfrau zu: "Wir brauchen einen Notarzt, sagen Sie denen sie sollen sofort kommen! Wir haben einen Mann mit Herzstillstand!"

Die Ärztin beginnt die Herz-Druck-Massage, die Wartezimmer-Frau macht die Mund-zu-Mund-Beatmung. Und ich stehe einfach nur da.

"Schließen Sie bitte die Tür." Sagt die Ärztin dann zu mir. Ich schließe die Tür, hocke mich - wie automatisch - zu den Frauen und warte auf meinen Einsatz. Die Anmeldefrau stammelt am Telefon: " Wir haben... Herzstillstand.. Sie müssen sofort.. es ist dringend!"

Die Ärztin schaut mich an. "Übernehmen Sie." Ich nicke und mache nun die Herz-Druck-Massage.

Die Ärztin steht auf und läuft zum Telefon und wird konkreter; wiederholt das ganze nochmal am Telefon: "Haben einen Mann hier, um die 60 Jahre alt. Er viel einfach um, Herzstillstand, kein Puls. Beeilen Sie sich."

Ich schaue den Mann an, während etwas in seiner Brust zu knacken scheint. Es ist mir egal, ob ich ihm eine Rippe breche, er soll gefälligst leben. Dachte ich mir.

Die Ärztin kommt wieder und übernimmt. Ich stehe weiterhin bereit im Zimmer und weiche keinen Schritt zurück.

Sie steht auf (ich glaube Sie hat ihr Stetoskop geholt), ich übernehme nochmals die Herz-Druck-Massage. Die Luft strömt aus seinem Mund. Sein Kopf bewegt sich zur Seite, ein Laut ertönt und für einen Bruchteil von Sekunden dachte ich "JA! DA IST ER! ATME!!".

Aber nichts passiert. Die Ärztin kommt, und hört nun mit Ihrem Stetoskop. Nichts. Sie macht nun erneut die Herz-Druck-Massage.

"Gehen Sie bitte runter. Der Rettungswagen müsste gleich da sein. Zeigen Sie denen wo sie hin müssen." Ich nicke nur, gehe aus dem Raum, schnappe meine Jacke und gehe raus auf die Straße.

Keine Minute später kommt der Wagen. Mit beiden Arme winke ich. Ich sage denen wo sie hin müssen. "Der Notarzt kommt gleich." Ich nicke und sage: "Ich kümmer mich drum."

Ich gehe erneut auf die Straße und sehe den Helikopter landen. Spektakulär. Bisher nur in Filmen gesehen. Ziemlich windig und absolut uncool als Zuschauer, vorallem im Herbst. Denke ich mir. Und winke erneut, als ich die kleine Frau aussteigen sehe und erneut winke.

Sie folgt meinen Anweisungen. Sowie auch der zweite.

Ich gehe zurück in die Praxis. Nehme platz im Wartezimmer.

Die Maschine des Defibrilators piept und gibt mit einer elektronischen Frauenstimme Anweisungen was zu tun ist. Keiner sagt ein Wort.

Unzählige Minuten vergehen (meiner Meinung nach eine Ewigkeit). Ich muss raus. Frische Luft. Was Trinken.

Als ich mit meinem Trinken wieder zurück in die Praxis will sehe ich die Trage vorm Eingang. "Sie holen ihn ab. Er hats geschafft!!" Denke ich und halte den Herren die Tür auf, weil diese nichts zum Einhaken hat.

Dann kommen Sie runter. Der Mann ist in Decken gehüllt. Ich sehe keine Schläuche. Aber auch keine Hektik. Sie schieben ihn dann in den Rettungswagen.

Doch keiner steigt ein. Die Sanitäter und Notärzte verabschieden sich, fragen wer den Papierkram erledigt und gehen dann.

Der Krankenwagen steht noch immer.

Ich gehe hoch. Neben mir im Warteraum erkenne ich nun die Frau, die die Mund-zu-Mund-Beatmung gemacht hat.

"Er hat es nicht geschafft oder?" Sie senkt den Blick und schüttelt den Kopf.
__________________________________________________________________________

Er ist tot. Er ist in diese Praxis gegangen, weil er gespürt hat, das Etwas nicht stimmt.
Dann fällt er einfach um und ist tot. Niemand seiner Angehörigen hatte die Chance ihm Lebewohl zu sagen oder bei ihm zu sein als es passierte.
Er ist einfach fort....
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Danke für eure Zeit. CGL
 
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Dabei
5 Nov 2007
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82
#4
Mir fehlen die Worte, kann nichts sagen. Und dass mir in den Sinn kommt, wie oft ich gerade in jüngerer Zeit in meinem sozialen Umfeld mit mit dem Tod in Berührung kam.

Und jetzt in einem Alter bin, wo ich der nächste sein kann.........
 
Zuletzt bearbeitet:
Dabei
27 Aug 2011
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#5
Ich danke euch, dass ihr euch die Zeit genommen habt um meine Geschichte zu lesen. Ich sehe noch immer sein Gesicht vor mir. Seinen Kopf den ich in meiner Hand hielt als er noch ganz warm war. Alles ist noch da als würde es genau in diesem Moment geschehen.

Ich denke schon über den Tod nach. Und habe ich kein Problem mit dem Tod an sich. Er gehört zum Leben dazu. Für alles im Leben gibt es ein Gegengewicht zum Ausgleich.

Aber dennoch ist die Tatsache das wir nicht wissen wann und wie und warum es zum letzten Atemzug kommt doch das angsteinflössendste Gefühl, das ich persönlich kenne.

@nic99: Ich denke, dass das Alter keine Rolle spielt. Auch ich kann die nächste sein. Heute, Morgen oder schon nächste Woche oder auch erst wenn ich gerade mein erstes Kind geboren habe. Dazu muss ich weder krank sein, noch mich sinnlos betrinken um an einer Alkoholvergiftung zu verenden oder Selbstmord begehen. Es kann Schicksal sein, dass ein anderer Mensch die Kontrolle über sein Auto verliert und gerade mich aus dem Leben reißt. Ich verstehe deine Bedenken. Und aus dem Grund kann ich dir nur von dem was ich aus diesem Ereignis gelernt habe weitergeben:

Das Leben ist kurz. Und dabei ist "kurz" relativ. Wir sollten unser Leben nicht mit unnötigen Sorgen belasten, nicht mit unnötigen Streiteren. Ich denke, dass es das Wichtigste in unserem Leben ist, die Kontrolle darüber zu behalten. Und es jeden Tag aufs Neue mit positiven Dingen zu füllen. Mit allem was uns eben glücklich macht...

Zumindest tue ich das seit dem Tod meiner Oma vor zwei Jahren. Ihr Tod hat in meinem Leben zwar nichts verändert. Aber es hat mich als Person geändert.
Ich lache mehr, ich genieße mehr, ich bin freier in meinen Gedanken.

Und der Tod dieses Mannes gestern hat neue Fragen hervorgerufen... Auf die ich hoffentlich bald Antworten finde.

Ich frage mich, warum wurde ich ausgerechnet gestern zurück geschickt um meine Karte zu holen? Wäre dies nicht passiert, hätte ich nichts von alledem mitbekommen....


CGL
 
Dabei
5 Nov 2007
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#6
....@nic99: Ich denke, dass das Alter keine Rolle spielt. Auch ich kann die nächste sein......
Ja, da hast du recht. Und für mich ist das beeindruckend, dass eine so junge Frau wie du sich solche Gedanken zur Sterblichkeit macht. Aber vor allem: Dass du dich dadurch noch mehr dem Leben zuwendest.
 
Dabei
27 Aug 2011
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#8
Danke nic99. Ich liebe mein Leben. :) Auch wenn das was geschehen ist noch lange Zeit in meinem Kopf rum schwirren wird, wird sich das niemals ändern.

Es wäre doch viel zu Schade etwas weniger zu schätzen nur weil es vergänglich ist, oder? Warum sonst verlieben wir Menschen uns immer und immer wieder.

CGL
 
Dabei
27 Aug 2011
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#9
Es ist wirklich schrecklich was da passiert ist, und die Gedanken die du dir machst macht sich nicht jeder und die Betroffenheit ehrt dich auch.

Zum Thema Sterblichkeit vertrete ich den Standpunkt meines Großvaters. Mein Großvater war als er 18 Jahre alt war an der Ostfront im Zweiten Weltkrieg und hatte mit dem Leben praktisch innerlich abgeschlossen. Ich versteh das, weil jeder der sich mit dem Thema näher beschäftigt hat, weiss das damals nicht sehr viele deutsche Soldaten überlebt haben. Mein Großvater hat überlebt, kehrte zu meiner Großmutter zurück und hat es tatsächlich geschafft, die Schrecken des Krieges hinter sich zu lassen. Er bekam 5 Kinder (darunter meine Mutter), war in zahlreichen Vereinen und hatte insgesamt ein glückliches Leben gehabt. Er ist dann 2007 gestorben im Alter von 82 (natürlicher Tod). Er hat mir immer erzählt, dass man sein Leben geniessen soll und sich nicht mit unnützem Ballast rumschlagen sollte, da das Leben zu kurz ist. Und ich denke da hatte er definitiv Recht, und so sehe und probiere ich es auch zu leben.

Meine Exfreundin (Amerikanerin) hatte einen Urgroßvater (den ich damals kennenlernen durfte) der den Angriff der Japaner auf Pearl Harbor damals überlebt hatte. Und auch dieser hat den Standpunkt vertreten, dass man sein Leben geniessen soll und immer offen und ehrlich miteinander umgehen soll und sich nicht stressen sollte, da das Leben viel zu kostbar ist.

Diese beiden Einstellungen haben mich tief beeindruckt und ich habe sie mir zu eigen gemacht. Selbstverständlich weiss ich, dass jedes Leben mal endet. Aber mich deswegen verrückt machen... Niemals :) Ich hoffe du kannst das Erlebte, so schnell wie möglich verarbeiten und wünsche dir viel Erfolg dabei.
 
Dabei
31 Okt 2014
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#10
Man sollte sich wirklich Gedanken machen über das Thema...ich bin 31 und wäre vor 7 Monaten fast gestorben an Lungenembolie...
 
Dabei
29 Sep 2014
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#11
Unglaublich... Da denkt man zumindest "zum Glück ist das noch beim Arzt passiert. Draußen beim Einkaufen etc wäre es schlimmer!" dann ließt man weiter und.. naja.
Ich hoffe, dass es dir gut geht und du die Sache gut verdauen kannst, denn das ist sicher ein schock gewesen !
Ich weiß grade auch nicht was zu schreiben... Einfach nur unglaublich, wie plötzlich es kommt und vielleicht gibt es doch sowas wie "den richtigen zeitpunkt" oder, dass es genau dann passieren muss.

Liebe Grüße
 
Dabei
21 Nov 2014
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#12
sehr traurig, sowas möchte ich nicht erleben. ein freund von meiner oma hatte wirklich einen herzstillstand an der kasse im supermarkt. leider hat ers auch nicht geschafft. es geht einfach manchmal zu schnell. aber so traurig es ist, es kann auch viel schlimmer sein. wenigstens mussten diese personen nicht leiden. das ist denke ich noch viel schlimmer. wenn man nur auf den tot wartet und er nicht kommen will... :-(
 
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