Kleine Welt und Märchen hinter den Ortschildern

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Wasserfall

Gast
#1
Es ist eine eigenartige Welt, wenn man an die Orte seiner Jugend zurückkehrt; zu den Orten, wo sich Liebesgeschichten abspielten, Tränen flossen, sich Enttäuschungen breit machen oder kleine Schritte zum Glück gemacht wurden. Längst sind die Protagonisten verschwunden, baulich hat sich vieles verändert. Die Spuren der Vergangenheit wurden getilgt. Nur in der Erinnerung leben sie noch - schwach, aber sie leben.

Das Haus des schönsten Mädchens, immer mal wieder ging der Blick dahin. Vielleicht ist sie da, vielleicht schaut sie rüber. In der Freizeit wurde auf dem Weg zum Kumpel ein kleiner Umweg gefahren, um mal nach ihr zu schauen. In der gemeinsamen Gruppe wurde jedoch kein Wort gewechselt. Schließlich war sie ein Mädchen und nur bei den Mädchen. Selbstverständlich galt es diese zu ignorieren. Und damit man das bestmöglich tun konnte, musste man immer wissen, wo sie sich aufhalten und was sie tun. Sonst gäbe es ja nichts zu ignorieren. Das Spielchen konnte jedoch noch ewig so weiter gehen. Also einmal allen Mut zusammennehmen und ihr sagen, was man so fühlt, will und vorhat. Natürlich wird die Reihenfolge komplett auf den Kopf gestellt. Erstmal wird geheiratet und dann kann man sich ja kennenlernen. Die Antwort darauf war absehbar: Ein Lacher, "Du Spinner" und Abgang. Wenn es eine Situation gibt, wo man knallrot wird, dann sicherlich hier. Ab hier begann das Stottern und die Schwierigkeit später mit Frauen überhaupt zu reden, geschweige denn zu sagen was man will. Statt dessen wurden ab da an lieber Fantasien entwickelt - in denen man sicher der Held ist.

Natürlich blieb man in der Gruppe auch weiterhin irgendwie in Kontakt. Aber die Distanz war eine andere und sollte sich nie wieder ändern. Wenn die gemeinsamen Plätze nicht schon damals von einer gewissen Kälte gezeichnet waren, so wirken sie heute komplett leer. Schließlich haben sich die gemeinsamen Orte getrennt. Eine große Entfernung voneinander war das jedoch nicht. Die war ja schon wesentlich früher erfolgt.

Heute, viele Jahre später begegnet man sich ja immer mal wieder. Zufälle gibts ja. Es scheint eine freundliche Atmosphäre "man kennt sich ja, mit ihm/ihr habe ich die Schulbank gedrückt". Aber um bloß keine Nähe aufkommen zu lassen bleibt er sehr distanziert "Oh, nein Mädchen, heute will ich dich nicht mehr, jetzt wo du verbraucht bist. Da würde ich doppelt drauf zahlen". Sie wiederum verstand diese Distanzierung und sein Desinteresse an ihr überhaupt nicht "Habe ich dir irgendwas getan???" Man könnte jetzt antworten. Aber nein, sie sollte schön ihre grauen Zellen mal ganz gewaltig auf Hochtouren bringen und selbst nach der Antwort suchen.

Es gibt viele Geschichten wie diese. Doch man erkennt sie nur, wenn man genau hinsieht.
 
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Dabei
7 Apr 2014
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#2
Schön...

Die Stimmung kommt rüber und ich mag die Art, wie du schreibst. Du liest viel, oder? Wirkst sehr sprachgewandt.


Danke.
 
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Wasserfall

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#3
Danke für das Lob. Ich lese nicht, sondern überfliege eher viel. Was das sprachgewandt betrifft: Ich nutze lediglich den Spielraum, den mir meine Muttersprache gibt, so gut es eben geht. Wenn das was brauchbares rauskommt, bin ich ganz zufrieden.
 
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Wasserfall

Gast
#5
Ich glaube, jeder Mensch, der 10 Jahre die Schulbank gedrückt hat, ist in der Lage so zu schreiben. Man braucht doch nur über die Lebensgeschichten zu schreiben, die man so im Alltag oder gar persönlich erlebt hat. Da sind immer irgendwelche Gefühle dabei. Die braucht man nur wiederzugeben.
 
Dabei
5 Sep 2011
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#6
Ich glaube, jeder Mensch, der 10 Jahre die Schulbank gedrückt hat, ist in der Lage so zu schreiben.
*hust*
Ich kann dir nach 13 Jahren Schule (14 sogar, wenn ich die Vorschule mitrechne) und vier Jahren linguistischer Studien versichern, dass das nicht so ist.
Eloquenz - zumindest gehe ich davon aus - ist ein vom Aussterben bedrohtes Talent.

Übrigens bin ich froh, dass nicht jeder Mensch gut schreiben kann. Andernfalls müsste ich wohl bald um meinen Job bangen. :shock:;)

Ansonsten: netter Text. Was lernen wir daraus? Man sollte sein Herz nicht auf der Zunge tragen; oder es notfalls herunterwürgen, ehe man es versehentlich ausspuckt und sein Gegenüber damit trifft. ;)
 
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Wasserfall

Gast
#7
Wer wird denn gleich mit Eloquenz um sich werfen? Mit einfachen Botschaften und Worten lassen sich auch ganz gute Geschichten erzählen - und da können ruhig Rechtschreibfehler drin sein. Macht die ganze Geschichte noch menschlicher.

Ansonsten der Text: nur eine von vielen Lebensgeschichten, die sich hier und da so ereignen.
 
Dabei
7 Apr 2014
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#9
@Wasserfall:

Ist es tatsächlich so, dass diese eine Geschichte dich "fürs Leben geprägt" hat?

Hast du nie andere Erfahrungen gemacht und dadurch umgelernt? Gelernt, zu differenzieren, nicht nur schwarz und weiss, sondern auch die Grautöne zu sehen?
 
Dabei
4 Jul 2013
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#10
Schön erzählte Geschichte, mit der ich mich identifizieren kann. Ich bin heute noch 'die Spinnerin' und wurde vom anderen Geschlecht nie anders wahrgenommen, auch wenn sich die Bezeichnung im Laufe der Zeit in 'nett' wandelte.
 
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Wasserfall

Gast
#11
Ich neige manchmal zu diesen Geschichten. Die Schönen verschweigen gern den Rest, wo es unschön wird.

Ich kenne sicher nicht alle Grautöne, aber sicher einige.

Danke, Yandara. Ich wollte gern mal wissen, ob es noch Leute gibt, die sich mit solchen Geschichten identifizieren können.
 
Dabei
4 Jul 2013
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#12
Danke, Yandara. Ich wollte gern mal wissen, ob es noch Leute gibt, die sich mit solchen Geschichten identifizieren können.
Ich denke, man identifiziert sich mit negativen Geschichten, wenn es im Gegenzug dazu nicht wirklich positive gibt. Wer erinnert sich denn lieber an Mist als an etwas Schönes? Das dürften doch eher die Wenigsten sein.
 
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Wasserfall

Gast
#13
Die leise Landstraße hinterm Feld

Es ist nicht zu fassen: 20 Jahre ist es her. Moderne Autos fahren auf der Bahnhofstraße auf und ab - ganz unaufgeregt. Auf der einen Seite verfolgen renovierte und gut gepflegte Häuser den Verkehr. Doch am Gehweg auf der anderen Seite hat sich bis heute nichts gändert. Noch immer liegt die Pflastersteindecke wie sie war: Neben den mehrheitlich grauen Steinen gibt es auch einige schwarze; hat man genommen, als es keine grauen mehr gab. Hier und da liegen Stellen frei, die bis heute für den ein oder anderen Platten in Fahradschläuchen sorgen. Wer hier freiwillig lang geht, muss entweder fremd, ahnungslos oder komplett verrückt sein. Die kleinen Dellen in der Pflastersteindecke aber, liefern bis heute Kindern den Grund, sie als kleine Schanze für Sprünge mit dem Fahrrad zu nutzen. Das hat schon Spaß gemacht.

Gerade setzt ein Rauschen in den Blättern der dicken Alleebäume ein. Klingt schön und lässt die Gedanken wie die Blicke schweifen. Übers Feld neben dem Gehweg. Wie immer zu dieser Jahreszeit recken grüne Halme tausendfach aus dem Boden hervor, ein kleiner, grüner Teppich. Fast mit jedem Rand vom Feld verbindet sich eine kleine Lebensgeschichte. Der Blick geht nach rechts, über das Feld, an den Zäunen der abschließenden Grundstücke vorbei, zu den nächsten Alleebäumen bis weit ins Hinterland. Auch dort gibt es weite Feldflächen.

Der Blick bleibt jedoch bei den Alleebäumen stehen. Wenn man nicht wüßte, dass sie eine Straße flankieren, würde man denken, dass sie vielleicht nur eine Windbarriere sein sollen. Warum das so wichtig ist? Nun, eine Straße zeichnet sich in der Regel durch Autos, LKW, Motorräder oder vielleicht auch Fahrradfahrer aus. Doch diese ist einfach leer. Maximal die Schatten der Vergangenheit fahren hier noch auf und ab - wenn man sie denn sehen will. Dabei war es eine stark befahrene Straße - ungleich stärker befahren als die Bahnhofsstraße heute. Die großen orangen Trucks der Stadtreinigung fuhren den ganzen Tag über stündlich hier lang. Sie machten die Straße zu einem gefährlichen Ort, und staubigen. Wer nicht in Kollision mit ihnen geraten wollte, musste sehr genau beim Fahren oder Überqueren aufpassen. An besonders heißen Tagen gings mit der knatternden Schwalbe auf diesem Asphaltweg zum Badesee.

Doch all dies ist jetzt Vergangenheit, verloren in der Zeit "wie Tränen im Regen". Leise liegt die Straße hinterm Feld. Und an diesem Punkt holt die Gegenwart die Gedanken wieder zurück - mit dem lauteren Rauschen der Blätter in den Bäumen der Bahnhofsstraße.
 
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Wasserfall

Gast
#14
Im fremden Ort

Ab und zu gingen Fahrten in die Natur - durch verschiedene kleine Orte, rauf auf die Feldwege mit den Betonplatten. Am Ende warteten Großtrappen, Weißstörche, Rotmilane, Turmfalken oder auch Rehe. Doch eine dieser Fahrten ging durch einen entfernten Nachbarort. Ich mochte die lange Kuhle in der Straße, fühlte sich wie in der Achterbahn an. Das Auto fuhr - fiel den kleinen Hang hinab, der im Sockel wieder Schwung gab. Hier bekam man ein beklommenes Gefühl beim Blick auf die schweren Holzplanken von der Eisenbahn, die hier zu einer viel zu kleinen Brücke aufgebaut waren. Sie wikte geradezu erdrückend mächtig gegenüber dem kleinen Bach, der drunter durch plätscherte. Manchmal fragte ich mich ob hier überhaupt Fische leben.

Nach dem Sockel gings einen leichten Anstieg in der Straße hinauf. Dort wartete ein eigenartiges Denkmal - ein Turm mit grüner Kuppel. Sah und sieht immer ein bisschen wie ein Penis aus. Er "steht" inmitten eines großen Kreisverkehrs. Die sexuelle Anspielung ist im nachfolgenden Kontext gar nicht so verkehrt: Kann man im Kindesalter jemanden im Vorbeifahren sehen und erkennt ihn dann Jahre später wieder?

Neben dem Denkmal ging die Fahrt in einen Seitenweg hinein, unscheinbar. Er führte hinter den Häusern des Ortes entlang, Ein Holperweg. Die roten Backsteingebäude, die zur Straße hin doch einigermaßen ordentlichen Zustand machten, zeigten hier ihr häßliches Gesicht: Zerbröckelnde Fassaden wie nach dem Weltkrieg, viel Unkraut, Müll und Asche. Und hier stand ein Mädchen - ob es nun ein Schlafanzug oder Trainingsanzug war, wer weiß. Sie trug halblanges, braunes Haar. Kastanienbraun waren ihre Augen. Mit diesen blickte sie ins Auto. Als wenn sie sagen wollte "Nehmt mich doch mit". Doch der Wagen fuhr weiter, sie blieb stehen und wurde zu einem kleinen Punkt, der schließlich verschwand.
 
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Wasserfall

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#15
Nur ein Umriss: Engelsherz auf einer Insel

Die Tasten klackern, sie klackern noch heute. Sie sind schwarz - wie damals. Viele Worte wurden getippt, sind in Dokumenten erschienen und rückten in diesen immer weiter nach oben - je mehr Worte unten dazu kamen. Manchmal habe ich eine Insel besucht, hab mir eine Hütte eingerichtet, das Namensschild draußen rangehängt - und war meistens weg. Am Strand trafen sich die Inselbewohner und Touristen. Worte wurden angespült wie eine Flaschenpost und ausgetauscht. Dabei gab es schon viele irre und lustige Nachrichten.

Heute ist die Insel schon vergessen wie so viele Begegnungen auf ihr. Wenn ich mich versuche zu erinnern, bleibt bei mir nur der Name und grobe Vorstellungen von ihrer Topographie. Selbst von der Bewohnerin mit der ich mich am liebsten unterhielt - in meiner Erinnerung geht sie nur noch als Umriss umher, trägt ihren Namen. Es bleibt nur die Gewissheit, dass es sie gegeben hat. Was sie damals so außergewöhnlich gemacht hat, ist mir heute fremd, unbekannt - ich habs vergessen. Ich habe wohl die Erinnerung eines Erblindeten, der versucht mit vergessenen Gefühlen zu sehen.

Es gab was neues, unbekanntes. Es gab großes Staunen, Glücksgefühle, viele Worte, kurze Nachrichten, freche Kommentare, Neckereien - aber auch lange Passagen in einem schwarzen Raum nur mit uns beiden. Der Raum schien unendlich weit mit unseren Gefühlen gefüllt zu werden. Sie las meine Worte und ergänzte sie durch eine neue Welt. Sie selbst kam aus der Welt der Engel, hatte auch ein entsprechendes Herz - 77 davon, wie sie mir zu verstehen gab.
Normalerweise bleibe ich in dieser Welt, gehe mit Frauen nicht in solche Räume, von denen ich weiß, dass sie zu groß sind, um von ihnen gefüllt zu werden. Warum ihnen Angst machen mit einer oder gar mehrerer großer Welten?

Nun ja, nachdem ich Einblick in die Welt von einem Engelherz erhalten hatte, fand ich es erstaunlich, dass da kaum ein Unterschied zu mir bestand. Wer hätte gedacht, dass Engel Probleme kennen? Schließlich verließen wir die Insel. Für mich blieb sie jedoch dort - und wenn auch nur als Umriss.

Heute bleibe ich nur noch in der Welt um mich herum; fast vergessen was war. Ich erzähle natürlich niemandem von diesem Erlebnis. Aber wer mir aufmerksam zu hört, der merkt schon ziemlich schnell, dass ich eine Menge zurückhalte. Ich will nicht von anfang an als zu groß wahrgenommen werden. Und das, obwohl ich mich eigentlich für relativ klein halte. Aber wie heißt es so schön: Liegt im Auge des Betrachters; Und dieses Engelsherz konnte Dinge in mir sehen, von denen ich nicht mal wußte dass sie da sind. Sie konnte sie freilassen. Wie üblich will ich keinen logischen Schluss daraus ziehen (auch wenn ich ihn insgeheim doch schon genau weiß)...
 
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Wasserfall

Gast
#16
Meine Welt vor den Toren der Stadt

Jeden Morgen rollen die Züge heran und bringen die Leute in die Stadt. Die S-Bahnen im 20 Minuten takt füllen sich regelmäßig. Andere reihen sich mit dem Auto in die Kolonne ein, die nur ein Ziel kennt: Die Hochhäuser hinter den Feldern und Bäumen. Die Arbeit ruft! Und wenn sie nicht mehr ruft? Es gibt sowas wie After-Work-Parties, kurz mal mit Freunden in nem Cafe treffen, in Bars zum Cocktail-Trinken gehen oder in Restaurants speisen - selbst wenn es nur Fast-Food-Einrichtungen sind. Die Stadt bleibt auch nach Arbeitsende der Pulsschlag vieler.

Ich bin ein Fremder in dieser Welt und doch einer der sich teilweise damit arrangiert hat. Wer nicht genau hinsieht, nicht fragt, wird nie erkennen in welche Welt ich eigentlich gehöre. Sie liegt da draußen vor der Stadt; nicht da, wo ich wohne. Nein, meine liegt genau am anderen Ende und weit dahinter. Wenn die Natur diesen Mikrokosmos des Stadtleben allmähich aus der Sicht gedrängt hat, wenn sämtliche Floskeln zum respektvollen Miteinander nicht mehr interessieren, peinliche Höflichkeiten und Karrieredenken hinter mir liegen, dann beginnt so etwas wie meine Heimat.

Die Häuser werden weniger, die Straßen schmaler, gleichgültiger und entspannter. Flüsse und Seen werden mehr und mehr. Eingefallene Holzscheunen berichten von Bauern, die sich hier mal ihr Leben verdingt haben. Es ist eine unglaubliche Welt, die sich hier auf dem Wasserweg auftut. Die Reise beginnt fast immer auf einem größeren See und steuert direkt auf eine breite, dichte Baumwand zu. Dort erscheint eine Raute, die den nächsten Fluss ankündigt. Nur eine handvoll Boote sind unterwegs und lassen respektvoll den anderen Bootsfahrern Traum von Freiheit. Er liegt in der spiegelglatten Wasseroberfläche, in den seicht flatternden Wellen oder den höheren Wellen bei starkem Wind. Und er hört nicht auf, wenn die Raute hinter mir liegt, der Fluss mich in Empfang genommen hat und die überhängenden Bäume eine kleine, schweigende Welt um mich herum formen. Manchmal springen Fische übermütig aus dem Wasser und sorgen damit für abwechselnde Unterhaltung.

Am Abend steuert man den nächsten Wassersportverein an, einen Campingplatz oder errichtet sein Lager in der Natur. Im Verein wird erstmal der Schlafplatz eingerichtet und dann gehts ab zur nächsten Kneipe und nem deftigen Essen. Im Kreise der Mitfahrer lässt man im angeheiterten Zustand keine Blödelei aus. Selbstverständlich wird keine hübsche Frau übersehen. Auf dem Campingplatz werden erst die Zelte errichtet, dann nochmal kurz ins Wasser gesprungen. Anschließend auf Gaskochern Fertigmahlzeiten bereitet und auf den Holzplatten das gerade geholte, frische Brot in viel zu dicke Scheiben geschnitten. Darauf dann ordentlich Wurst - und das mit Cola, Brause oder Bier an der frischen Luft einfach nur schmecken lassen. Ein Lager in der Natur ist auch schon ziemlich schräg. Überhaupt mal ein Lagerplatz finden. Dann beten, dass die Luftmatraze hält und man morgens nicht auf knorrigen Zweigresten aufwacht. Nachdem die Zelte errichtet sind, springt man zusammen in den Fluss oder den See. Wenn man das Glück hat Fische fangen zu können, werden die dann vor Ort ausgenommen, mit Pfeffer und Salz ausgestattet und in einer Silberfolie im Lagerfeuer braten gelassen. Schmeckt herrlich. Das Schönste in solchen Momenten, wenn man im Kreise seiner Mitstreiter in dieser ruhigen, schweigenden Umgebung den Sonnenuntergang über den Baumspitzen gemeinsam erleben kann. So fällt es auch nicht schwer am nächsten Morgen aufzuwachen und gleich mit den ersten Späßen anzufangen.

Manche Flussabschnitte scheinen geradezu langweilig und sehen auch noch ungepflegt aus. Aber das ist genau diese Gegend, die ich mag: Da stehen Schilfgräser ungleichmäßig verteilt bis in den Fluss hinein und halten sich nicht am Rand. Steckmücken fliegen herum. Auch an moorastigen Becken an der Flussseite gehts vorbei. Die Natur wird hier noch nicht in rechteckige Einfassungen gebracht wie die Bäume der Großstadt. Bei großen Wellen auf einem See heißt es bei mir nicht "oh, jetzt gehen wir unter", sondern "wir kriegen das hin, wird nur ein bisschen feuchter". Ich brauche keine Pseudo-Strände mit Techno-Musik und Sauferei in der Stadt, wo nur noch Menschen fern jeglichem Natürlichkeitsempfinden auftauchen. Hat aber auch lange gedauert bis ich das mal registriert hab, wo ich hinpasse - und dass ich Zugang in eine Welt habe, die den Augen der meisten verschlossen bleibt. Würde ich jemanden mitnehmen? Auch wenn der Eintritt eigentlich frei ist, kostet er zumindest eines: Die persönliche Überzeugung. Ohne die kann ich den Blinden nicht sehen machen.
 
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Wasserfall

Gast
#17
Heiße Mädels überall

Die alte Schule steht noch da, wo sie war. Das olle Grundschulhaus aus Vorkriegszeiten wirkt heute noch so schwerfällig und schweigend abweisend wie damals. Dahinter hat der moderne Flachbau für die Realschul- und Gymnasialklassen hat noch einmal Zuwachs bekommen. Auf der anderen Straßenseite sieht der Sportplatz richtig gepflegt aus: Es gibt eine Weitsprunganlage; früher war es ein ausgetrampelter Laufweg mit einem kurzen Balken versteckt zwischen Sand und Gras. Dahinter folgte eine Sand-Kiesaufschüttung. Der Rasen des Fussballfelds ist gemäht und durchgehend. Früher wucherte der Rasen munter in die Höhe, der Anstoßplatz war ein Sandloch und zwischendurch tauchte auch ein Maulwurfshügel auf. Es ist schon makaber, dass hier schöne Mädchen ihr Abitur und Sport gemacht haben. Aber so wars.

Wer früher Schluss hatte und beispielsweise am Sportplatz vorbeifuhr konnte zwar sehen, das die älteren Schülerinnen mit Sport und rennen nicht viel zu tun hatten. Der Laufstil sah nicht selten lächerlich aus. Aber wen interessierte das noch, wenn sich bei einigen unter dem zu kurzen Oberteil "alles" schwungvoll auf und ab bewegte. Da bekam man schon vom Hinsehen rote Ohren. Auf Höflichkeit wegsehen? Hey, so einen schönen Anblick - eine wahre Freude - darf man sich doch nicht in der Jugend entgehen lassen ;-) Manchmal haben es die Mädel mitbekommen - die eine lief rot an, die andere lächelte zurück.

Aber der "Süßigkeitenladen" war schier endlos, aber nicht von Anfang an. Er wurde erst größer und größer. Klar, zuerst wurden die Klassenschönheiten bestimmt. Es waren zwei: Die eine mit braunem langen Haar, braunen Kulleraugen, richtig schöner Oberweite, immer freundlicher, lustiger Art, manchmal recht schrägen Klamotten (orange Lederstiefel *brr*). Die andere etwas unscheinbarerer - blond gewelltes Haar, auch mit schöner Oberweite und Figur, lachte über jeden Scheiß mit einer Lache, dass jeder sofort wußte wer es war. Naja, beide waren vergeben. Das hinderte aber niemanden daran sich zumindest heimlichen "erotischen" Fantasien hinzugeben und so oft wie möglich Kontakt zu ihnen zu suchen. Vielleicht bekommt man ja doch mal ne Chance. Beide gerieten auch ins Visier der Jungs aus den höheren Klassen, die sich aber auf Distanz hielten. Natürlich wurde unter Jungs dann mal Klartext gesprochen "woah, was für ein geiles Mädchen".

Dabei hatten sie es auch ganz gut getroffen. In ihren Klassen saßen auch ein paar "Sexbomben", mit ähnlichen bevorzugten "Attributen" :) Sie standen auf dem Pausenhof meist in einer Gruppe rum, Jungs mischten sich manchmal drunter. Es schien als, wenn diese ihren Fokus eher auf jüngere Schülerinnen gelegt hatten. Was doch unbegreiflich schien: Schlenderten die älteren Mädels in der Mathematik-Stunde über den Hof, dann waren ihre eng anliegenden Jeans selbstverständlich sofort interessanter als lineare Algebra. Diese meldete sich meistens zielgenau zurück mit der Frage "Maik, Thomas - wo waren wir gerade?" Als Antwort kam dann ein "äh, murmel, Rateversuche (ohne Aussicht auf Erfolg) und ein unschuldig lächelnder, roter Kopf. Anderer Raum selbes Bild: Da kam draußen ein Mädchen aus der höheren Klasse - eng anliegende Jeans mit dem knackigen Hintern und offene Jeans-Jacke, die wie ein Rahmen "schau hierher" um die vorragende Oberweite wirkten.

Doch konnte man sich denn auf ältere Abiturientinnen konzentrieren? Naja zumindest das Träumen war schön und ging in Erfüllung jedes Mal. Irgendwo stand mal, dass ein Junge in diesem Alter durchschnittlich 298 mal an Sex denkt. Da wir so wenig drüber gesprochen haben, muss sich also in den Köpfen wirklich ziemlich viel abgespielt haben ;-)

Jedenfalls rückten auch jüngere Schülerinnen ins Blickfeld: Hotpants, viel zu knappe, dafür voluminös ausgefüllte Oberteile. Und schon wieder gabs eine erfolgreiche Ablenkung in jeder Pause und Unterrichtsstunden. Und damit hörte es ja nicht auf. An den Fahrradständern kam ebenfalls Betrieb auf. Wenn man nicht schon vom Anblick der Oberweite völlig auf Anschlag war gab der sich auf dem Fahrradsitz hin und herreibende Hintern den Rest. Und sie sahen mit ihren Gesichtern alle so süß aus, dass man eigentlich jede einzelne verschnaschen müsste.

Tja, was ist aus dieser heißen Phase eigentlich geworden? Sie ist vorbei. Lebenswege und -erfahrungen haben diesem Neuland den Reiz und Spannung genommen. Noch heute gibt es immer mal wieder sexy Frauen mit schöner Oberweite. Aber man gerät nicht mehr so schnell in Erregung. Die jugendliche Schönheit ist weg - durch viel oder wenig Sex, Sorgen oder andere Faktoren. Die Hintern sind breiter geworden, die Stimmen gesetzter, die Selbstbestimmung bewusster. Manche haben Männer und Kinder, sind verheiratet oder schon wieder geschieden. Wer hätte damals gedacht, als alles noch neu und unbekannt war, dass diese pubertäre Vorfreude, Erregung und Aufregung vom Leben kassiert wird? Vielleicht war das der Trick - nicht zu viel vom Leben zu wissen.
 
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Wasserfall

Gast
#18
Die Alltags-Shilouette

Die Welt hat sich viele Male gedreht, Jahre sind ins Land gegangen und die Stadt ist schöner und moderner geworden. Doch an manchen Orten sieht mein geistiges Auge noch immer eine Shilouette. Um sie herum läuft das Geschehen der Gegenwart. In ihr läuft der Film der Vergangenheit. Manchmal zeigt sich hier noch ein Lächeln, strahlende Augen und lange blonde, lockige Haare mit einer Orientblume. Es erscheint in der einst nur spärlich befahrenen Hauptstraße, die heute keine Pause mehr kennt.

Der ganze Umriss sitzt in einem alten Audi, das wie ein Stilleben auf mich wirkt - obwohl damals Sting "fields of gold" lief. Die Fahrt geht auf der großen Paradestraße bis zum nächsten, kleinen U-Bahnhof, führt durch die aneinandergezwängte Altbauten-Fassade und endete in der düsteren Abenddämmerung im Nachbarort. Wir verabschiedeten uns an einer Gabelung mit Plastersteinen, Rollsplit und brüchigem Asphalt. Niemand hat uns gesehen. Heute ist die Gabelung verschwunden. Manchmal frage ich mich, ob sie wirklich hier war.

Dann schaue ich mir ihre Briefe an und weiß, dass es sie gab. Doch betrachte ich sie heute mit einer Gleichgültigkeit. Sie geben keine neuen Informationen mehr her. Ca. 1000 mal habe ich sie mir angesehen. Oft habe ich mich enttäuscht gefragt, warum nicht andere Frauen auch so Schreiben können. Sie hatte den ein oder anderen Rechtschreibfehler drin. Na und? Wen interessierte das schon noch, wenn sie mir ein paar Ansichten zum Leben verständlich mitteilte, die ich so noch nie gehört habe. Zudem schrieb sie mir auch lustige Anekdoten aus dem Alltag: Außer ihr ist noch nie eine "mit nem Iglu durch die Stadt gefahren" Solche Sprachbilder liebe ich. Und beides zusammen steckt bis heute in der Shilouette, die ich ab und zu noch sehen, aber schon größtenteils vergessen habe.
 
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Wasserfall

Gast
#19
Der kleine Junge

Er war einer der leiseren Kinder, spielte ruhig mit und fiel eben nicht sonderlich auf. Gut, er sah ganz niedlich aus, aber ansonsten sicher keine auffällige Schönheit - halt einer von Vielen. Wer hätte gedacht, dass er schon nach den schönen Mädchen schaute? Einmal nahm er allen Mut zusammen und pflückte ein Haufen Blümchen mit weißen Blütenblättern und gelben Innenfeld. Damit ging er dann zu ihr, sagte ihr, was er fühlte und reichte ihr die Blumen. Sie blickte zuerst ganz überrascht und ratlos drein - und begann dann schallend zu lachen. "Du spinnst" sagte sie und ging. Er stand da wie vom Blitz getroffen; wußte nicht, ob er weinen sollte oder irgendwas hintherbrüllen und so tun als läge ihm gar nichts an ihr - damit sie gar nicht auf die Idee kam ihn zum Gespött vor den anderen Kindern zu machen. So stand er nur starr da - und es begann zu regnen.

Ein Gewitter reinigt bekanntlich die Luft, doch dieser Regen hat seither nur selten mal aufgehört. Aus dem kleinen Jungen wurde ein Mann wie das englische Wetter. Wenn die Sonne scheint ist es schön, tatsächlich gibts aber meistens nur Regen und Nebel.
 
Dabei
4 Jun 2013
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3.099
#20
*
Übrigens bin ich froh, dass nicht jeder Mensch gut schreiben kann. .
Das Schreiben(grammatisch richtig)wird eh bald abgeschafft,
denn in der Schule in den unteren Klassen wird schon kein Diktat mehr geschrieben,weil die Kinderchen schon "verlernt" oder nie "gelernt" haben, nun 3 Sätze fehlerfrei zu schreiben!:eusa_doh:
 
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Wasserfall

Gast
#21
Das Schreiben(grammatisch richtig)wird eh bald abgeschafft,
denn in der Schule in den unteren Klassen wird schon kein Diktat mehr geschrieben,weil die Kinderchen schon "verlernt" oder nie "gelernt" haben, nun 3 Sätze fehlerfrei zu schreiben!:eusa_doh:
In der "Bild der Wissenschaft" zum Thema Graphen gibts auf der letzten Seite einen lustigen Kommentar zur Entwicklung des Erlernens :)
 
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